Fast wie Brainstorming. Zeitersparnis? Null.
Katharina Meyer post-editiert eine DeepL-Übersetzung in Word. Ihre Beobachtung: Der Stil des Originals ging flöten, dafür blieben Syntax und Semantik gut erhalten.
Im »Workflow 3: Post-Editing in Word« ging es darum, den Text zunächst vollständig durch das Maschinenübersetzungssystem (MÜS) übersetzen zu lassen. Im zweiten Schritt wurde ein Satz-für-Satz-Vergleich des Ausgangstextes mit dem Zieltext durchgeführt. Im dritten Schritt wurde der Zieltext auf Stimmigkeit und Literarizität überprüft und im letzten Schritt ein Kontrolldurchlauf durchgeführt, um einen Text zu erhalten, der sich in der Qualität nicht von einem durch einen Humanübersetzer übersetzten Text unterscheidet.
Beim Originaltext handelt es sich um einen Auszug aus Meet Me in the Margins von Melissa Ferguson, einem Liebesroman, in dem es um die Verwicklungen im Leben einer Verlagsmitarbeiterin geht.
Schon der zweite Schritt, die Überprüfung der sprachlichen und sachlichen Korrektheit, erwies sich als unerwartet herausfordernd. Bei der maschinellen Übersetzung (MÜ) kann es Probleme geben, die womöglich zu ungenauen oder unverständlichen Übersetzungen führen. Einige dieser Schwachpunkte sind Polysemie, Register, Ironie, Humor, die richtigen Bezüge bei langen Schachtelsätzen, Konsistenz in Ton und bei der Charakterisierung der Figuren, kulturelle Bezüge, Fachtermini, Rhythmus, Idiomatik, bewusste Stilbrüche oder Wortwörtlichkeit.
Durch die zahlreichen Fehlerquellen wurde der zeitliche Aufwand immens gesteigert, und es waren drei zusätzliche Korrekturdurchgänge nötig.
Priming-Effekt und fehlendes Weltwissen
Ein großes Problem ist der sogenannte Priming-Effekt, wodurch der Grundton des Textes von vornherein angeschlagen ist und die KI den Ton des Textes vorgibt, von dem man sich schwer lösen kann. Die von DeepL erstellte Fassung suggeriert, dass die Lösung schon gefunden ist, und mir fiel es sehr schwer, mich von den vorgegebenen Lösungsvorschlägen gegebenenfalls zu entfernen. Der Text der maschinellen Übersetzung wurde zum vorherrschenden Text in meinem Kopf und machte dem Originaltext seinen Platz streitig. Die MÜ entfernte mich stilistisch vom Original, und gleichzeitig klebte sie in Syntax und Semantik daran fest.
Während der Übersetzer bei der Humanübersetzung von Anfang an den Ton des Textes prägt und Abweichungen schneller ins Auge fallen, da es sich um einen in sich kohärenten Ton statt um einen aus verschiedenen Textkorpora zusammengewürfelten handelt, gelangt die Maschinenübersetzung nur schwer zu einem wiedererkennbaren, singulären Profil.
Der Humor, der in Meet Me in the Margins eine wichtige Rolle spielt, kommt in der MÜ-Version nicht deutlich genug zum Tragen, genauso wenig wie die Charakterisierung der Figuren. (Oft stellt sich beispielsweise die Frage: Das Wort ist zwar nicht falsch, aber würde Person XY so sprechen?)
Inhaltliche Fehler entstanden durch Auslassungen, zu eindeutige oder zu unklare Übersetzungen (»nur 3600 Schritte für den Tag«), stilistische Fehler, z.B. hinsichtlich des Registers (»drängen« statt »auf die Pelle rücken«; »bauscht« sich ein Segel im Wind oder »bläht« es sich auf? Kann es »im Wind tänzeln« oder sich, wie vom MÜS vorgeschlagen, »in der salzigen Meeresbrise wiegen«?) oder bei idiomatischen Wendungen (»das ist es, was wir tun« für that’s what we do), bei polysemen Wörtern oder hinsichtlich der Faktizität (wie die falsche Umrechnung von feet in Meter).
Wurde das MÜ-System nicht richtig trainiert, kann es auch zu Fehlern bei Fachterminologien und technischen Ausdrücken kommen.
Die KI kennt keine kulturellen Hintergründe und hat kein Erinnerungsvermögen (teilweise auch abhängig vom genutzten Tool), womit sie den Text nicht auf Textlogik und innere Kohärenz überprüfen kann. Wortwiederholungen und bewusste Bezüge werden dadurch nicht erkannt, und ein Wort, das sich eigentlich wiederholen müsste, wird durch unterschiedliche Synonyme wiedergegeben; dieser Bezug kann beim Post-Editing nicht immer aufgedeckt werden.
Durch den angeschlagenen Ton der MÜ ist der Übersetzer gehemmter darin, vorbehaltlos alle ihm selbst zur Verfügung stehenden Lösungen auszuschöpfen und somit im kreativen Prozess behindert. Gleichzeitig kann die KI Kreativität auch anstoßen, indem der eigene kreative Prozess durch die vorgeschlagenen Alternativen aus ähnlichen Zusammenhängen (seien es Synonyme oder ganze Satzteile oder Sätze, auf die die KI mithilfe ihrer Textkorpora in Sekundenschnelle zurückgreifen kann) aktiviert oder in andere Richtung gelenkt wird. Das gleicht dem Brainstorming in einem Übersetzerseminar, bei dem durch andere Blickwinkel neue Ideen entstehen, allerdings mit einem unendlich viel größeren Datensatz dahinter.
Was schon bei der Humanübersetzung tendenziell zu beobachten ist, nämlich, dass der Übersetzer dazu neigt, die angepasstere Lösung zu wählen und sich weniger traut als der Autor, wird durch die maschinelle Übersetzung noch verstärkt. Ein MÜS wird immer einheitlichere, gefälligere Lösungen wählen.
Fazit: Die erhoffte Zeitersparnis wird ins Gegenteil gekehrt
Geht es nur darum, den Inhalt grob zu erfassen oder eindeutige Texte zu übersetzen, kann die maschinelle Übersetzung mit anschließendem Post-Editing durch einen Post-Editor – dessen Expertise sich in jedem Fall mit der eines Übersetzers decken muss – zu guten Ergebnissen führen. Handelt es sich jedoch um die Übersetzung literarischer Texte mit dem Anspruch, eine Übersetzung zu erhalten, die im Ergebnis dem literarischen Originaltext entspricht, ist der hier erprobte Weg, also die Übersetzung durch MÜS plus Post-Editing in Word, kein konstruktives Vorgehen und führt zu keinem echten Gewinn bei der Arbeit, da die maschinelle Übersetzung zu ungenauen oder sogar irreführenden Übersetzungen neigt, die auch durch den Post-Editor nur mühsam und nicht zu hundert Prozent behoben werden können. Probleme der maschinellen Übersetzung können sprachlicher oder inhaltlicher Art sein oder den Stil betreffen. Der sogenannte Priming-Effekt, durch den der Grundton des Textes durch den Einsatz des MÜS von Anfang an festgelegt wird, erschwert den Prozess, sich dem Originaltext anzunähern und einen kohärenten Ton für die Übersetzung zu finden. Tendenziell besteht die Gefahr einer einheitlicheren, gefälligeren Übersetzung. Die erhoffte Zeitersparnis wird ins Gegenteil gekehrt.
Möglicherweise ist es sinnvoll, die KI in den Übersetzungsprozess einzubinden, wenn das Grundgerüst der Übersetzung schon steht, um sie bei Problemstellen heranzuziehen und auf die unglaubliche Menge an Daten zurückzugreifen, ohne durch den Priming-Effekt behindert zu werden. Also an einer Stelle, an der sie als Hilfsmittel dienen und den Prozess tatsächlich qualitativ verbessern und beschleunigen kann.
Review
von Nina Restemeier
Der erste Eindruck: Irgendwie nicht catchy
Ein Unterhaltungsroman über die Buchbranche? Genau mein Ding – dachte ich. Cover und Klappentext, die ich mir zur Einstimmung vorab angeschaut hatte, weckten in mir Vorfreude auf einen temporeichen, humorvollen Text mit Anspielungen auf die Klischees im Genre Romance. Leider ist der Einstieg in den Text alles andere als catchy. Einige Passagen musste ich mehrmals lesen, um einen Eindruck davon zu bekommen, was vor sich geht. Aber woran liegt’s?
Formales: Lost in machine translation
Der erste Blick gilt der Form: Da hier offenbar mit der Eingabemaske auf der Website und nicht mit der Funktion »ganzes Dokument übersetzen« gearbeitet wurde, sind sämtliche Formatierungen des Originals verloren gegangen. Der Text ist nicht im Normseitenformat und es finden sich keine Kursivsetzungen. Auch wenn die in deutschen Texten weniger inflationär verwendet werden als in englischen, so sollte doch zumindest der im Fließtext genannte Buchtitel Die faszinierende Welt der Wörter: Eine Einführung in die Epistemophilie sowie eventuell die eine oder andere Betonung (z.B. Mrs Penningtons Verachtung von kommerzieller Populärliteratur) kursiv hervorgehoben werden. Auch die Anführungszeichen im Text entsprechen nicht dem deutschen Standard, werden weder als „typographische“ noch als »Guillemets« dargestellt, sondern als gerade Anführungszeichen ausschließlich oben. All dies sind Faktoren, die ebenfalls ins Post-Editing mit einbezogen werden sollten.
Da in diesem Workflow ohne Glossar gearbeitet wurde, hat sich zudem noch eine »Frau Pennington« zwischen mehreren »Mrs« versteckt.
Auch ein Verdacht auf Gender Bias lässt sich ausmachen. In der Übersetzung stellt Mrs Pennington eine »neue Mitarbeiterin« (new employee) vor, aus dem Kontext geht allerdings nicht hervor, ob es sich dabei um einen Mann oder eine Frau handelt.
Sprachliches: Kreative Einzellösungen, aber kein Flow
In der finalen Version finden sich zahlreiche herrliche umgangssprachliche Formulierungen (»belatschern«, »hemmungslos dem Multitasking frönen«, »mit einer Körpergröße von eins zweiundfünfzig gesegnet sein«), die allein der Kreativität der Post-Editorin und nicht der MÜ zu verdanken sind.
Der Abgleich mit dem ursprünglichen DeepL-Output zeigt, dass kein Satz im Text unverändert übernommen wurde. Hier wurde viel Zeit und deutlich mehr als die erforderten drei Überarbeitungsdurchgänge investiert, um die Rohfassung zu editieren. Am Ende steht also ein Text, der grammatikalisch korrekt ist und inhaltlich sowie stilistisch dem Ausgangstext entspricht. Wieso also springt der Funke (zumindest bei mir) nicht über?
Es liegt am Original, oder: Ein Lektorat hätte dem Text gut getan
Bei dem vorliegenden Textauszug handelt es sich um das erste Kapitel eines Unterhaltungsromans, er sollte Leser*innen also idealerweise ab der ersten Zeile in den Bann ziehen, um sie zum Weiterlesen zu animieren. Der erste Satz ist allerdings im Original wie in der Übersetzung extrem lang (O: 47 Wörter, Ü: 46 Wörter), verschachtelt und mit Details überfrachtet. Insgesamt wird der Lesefluss durch eine Fülle an Informationen gehemmt, deren Relevanz sich nicht auf den ersten Blick erschließt. (Hier sei vor allem der fünfte Absatz, der mit dem »Multitasking«, genannt: Was soll auf einmal die Erwähnung der Schwester und wozu will sie Savannah belatschern?) Hier entsteht der Verdacht, dass beim Originaltext am Lektorat gespart wurde, da der rote Faden des Textes sowie die mitschwingende Ironie noch deutlicher herausgearbeitet werden könnten.
Ohne den kompletten Inhalt zu kennen, ist es zwar schwierig, zu beurteilen, inwiefern hier Form und Inhalt korrespondieren – immerhin spielt der Roman in einem Verlagshaus, da könnte die sprachliche Gestaltung eine entscheidende Rolle spielen. Dennoch sollte gerade der Textanfang zum Dranbleiben einladen. Die Übersetzung sollte daher die Erwartungen der Zielgruppe an das Genre erfüllen und Zugänglichkeit und Lesefreundlichkeit über eine Eins-zu-eins-Nachahmung stellen, ohne dabei den Text komplett zu banalisieren.
Diese Aufgabe geht über ein bloßes Übersetzen hinaus und wäre im Bereich des Lektorats anzusiedeln. Sie könnte allerdings bei gesonderter Vereinbarung und Vergütung von dem oder der Übersetzenden mitübernommen werden. Es versteht sich von selbst, dass eine KI eine derartige inhaltliche Bearbeitung nicht leisten kann. Um im Rahmen eines Post-Editings eine umfassende Redaktion vorzunehmen, wäre ein erheblicher Mehraufwand nötig, der von dem in der Regel geringeren Honorar nicht gedeckt würde.
Bild: Виталий Сова