Im Ansatz sehr »brauchbar«
Else Laudan lektoriert eine Maschinenübersetzung von Aubrey Gordons What We Don’t Talk About When We Talk About Fat. Den Originaltext kennt sie nicht. Sie erklärt, was es bei aller Liebe zum Redigieren zu beachten gilt.
Vorweg: Ich liebe kreatives Redigieren. Der Aufwand meines Eingreifens bei diesem Textstück erinnert mich an viele von mir lektorierte Übersetzungen, bei denen die Übersetzerin entweder nicht im Thema zu Hause war oder unachtsam vorgegangen ist, weshalb ich alles abgleichen musste (was man ja schnell merkt). In gewisser Weise ist es ein Vorteil, zu wissen, dass man es mit einer Maschine zu tun hat, die zwar danebenliegen kann, aber immerhin nicht »schummelt« (also Unkenntnis durch Sinnbeugung oder Weglassen von Satzteilen kaschiert – alles schon erlebt).
Das Maschinenübersetzungssystem (MÜS) gibt eine redliche, nicht sogleich verwendbare, aber im Ansatz sehr »brauchbare« Rohübersetzung heraus, die eben sorgsam kontrolliert und geschliffen werden muss, wenn sie der Autorin gerecht werden soll (und das ist immer mein Hauptanliegen).
Was sich hier als besondere Herausforderung erwies: Da mir die ausgangssprachliche Fassung nicht vorliegt, bin ich als Lektorin gefordert, die Absicht der Autorin und ihre Argumentations- und Stilmittel aus dem maschinenübersetzten Text zu ermitteln und dann – im mutmaßlich von der Urheberin gewollten Sinn – zu polieren.
Dafür setzte ich drei Kompetenzen ein, die ein MÜS entweder gar nicht besitzt oder jedenfalls nicht so gezielt einbringen kann, weil sie nicht errechnet werden können, sondern in erster Linie mit Kontextualisierung zu tun haben: 1. Diskurskenntnis, 2. Weltkenntnis und gezielte Recherche, 3. Übersetzungserfahrung.
Beispiel für Diskurskenntnis
»Ich war schon immer dick. / Nicht mollig oder flauschig oder buschig oder kurvig-fett.« Hier fehlt dem MÜS die treffsichere Bedienung des Repertoires bemäntelnderer Modebranchen-Attribute. Und es kann auch nicht erkennen, dass der widerständig selbst angeeignete Begriff hier nicht »dick« ist, sondern das krassere Wort »fett«. Meine korrigierte Fassung arbeitet diese beiden Aspekte ein und kommt zu ganz anderen Adjektiven: »Ich war schon immer fett. / Nicht mollig oder üppig oder kurvig oder dicklich.«
Beispiel für Weltkenntnis und gezielte Recherche
- Dass Autofenster heutzutage nicht gekurbelt, sondern elektrisch hochgefahren werden, ist einfache Weltkenntnis – schließlich ist es ein zeitgenössischer Text.
- Gleich im ersten Absatz muss anstelle wörtlich-begrifflicher Übersetzung geprüft werden, mit welchen Begriffen der Body-Mass-Index gängigerweise im Deutschen hantiert: nämlich nicht so, wie das MÜS es vermutlich wörtlich übersetzt, »›super krankhaft fettleibig‹ oder ›extrem fettleibig‹«. Auf Deutsch heißt es – interessanterweise noch verhüllender und deutlich pathologisierend-medizinischer als im Englischen –»›Adipositas Grad III‹ oder ›extreme Adipositas‹«.
- Die angegebenen Frauenkleidergrößen sind offenkundig UK-Größen, das musste ich kurz recherchieren und anpassen: 26 (UK) entspricht 54 (D) usw.
Beispiel für Übersetzungserfahrung
Aus langjähriger Erfahrung weiß ich, dass abuse im Englischen für viele Themenbereiche praktisch identisch eingesetzt wird, für die es im Deutschen sehr unterschiedliche Begriffe gibt: Missbrauch natürlich, aber auch Gewalt (sowohl in einem allgemeineren Sinn als auch ausdrücklich körperlich), Misshandlung/en, Schmähung/en, Übergriff/e, Beschimpfung/en. Das Wort abuse stumpf mit »Missbrauch« zu übersetzen, ist extrem unscharf, oft sogar irreführend; es gilt, im Einzelfall aus dem Kontext den treffenden Begriff herauszulesen. Damit ist das MÜS überfordert. Ich habe mich hier kontextbezogen für »Übergriffe« entschieden (Gewalt ginge zwar auch, aber da müsste irgendwo erläutert werden, dass es auch um Gewalt verbaler Art geht).
Auch bei den »Herausforderungen, denen ich durch Frauenfeindlichkeit und Homophobie ausgesetzt bin« weiß ich aus meiner Übersetzerinnen-Erfahrung, dass hier im Original challenges stehen muss, was in genau solchen Fällen treffend mit »ständige Kämpfe« übersetzt werden kann.
Probleme
Besonders an einer Stelle bin ich mangels Original-Vergleich zum Interpretieren auf dünnem Eis herausgefordert, denn dieser Satz ist unplausibel: »In Büchern, politischen Karikaturen, Filmen und Fernsehsendungen stehen fette Körper für das Versagen Amerikas, den Kapitalismus, Schönheitsnormen, Exzess und Konsumismus.«
Nein, »fette Körper stehen für Schönheitsnormen« kann nicht gemeint sein – eher für die Negierung von Schönheitsnormen oder so. Das MÜS hat hier einen Fail produziert – durch zu grobe Vereinfachung oder Weglassung oder pauschale Berücksichtigung häufiger Kontextkopplungen oder falsche Zusammenziehung von Begriffen.
Aber ich habe das Original nicht. Was will die Autorin ausdrücken? In grober Kenntnis ihrer Haltung und ihrer Schreibweise durch den gegebenen Text versuche ich, es zu erahnen. Erst probiere ich ein anderes Verb, das die Bedeutung der Aufzählung leicht verschiebt, dazu ein klar wertendes Wort: »In Büchern, politischen Karikaturen, in Film und Fernsehen verkörpern fette Leiber das Versagen Amerikas, den Kapitalismus, Prunksucht, Exzess und Konsumismus.« – Nö, das ist zwar in sich logischer, aber nicht die Art, wie diese Verfasserin denkt und schreibt, es muss noch anders sein. Die Reihung beginnt mit dem »Versagen Amerikas« – was, wenn das Versagen sich eigentlich auf alle folgenden Substantive – Amerika, Kapitalismus, Schönheitsideale, Exzess und Konsumismus – bezieht? »In Büchern, politischen Karikaturen, in Film und Fernsehen symbolisiert Fettleibigkeit das Scheitern Amerikas, des Kapitalismus, der Schönheitsideale, der Überfluss- und Konsumgesellschaft.« Ja, das scheint mir stringent und auch zur Autorin passend, ich entscheide mich für diese Version. Aber ich kann natürlich auch falsch liegen. Solange ich das Original nicht kenne, bleibt es ein Blindflug.
Des Weiteren habe ich natürlich, wie beim Lektorat üblich, an Fluss und Geschmeidigkeit gearbeitet. Aus den Pointen und dem Inhalt lässt sich ersehen, welchen Ton der Text haben soll, ich habe ihn da, wo das MÜS ihn meines Erachtens nicht ganz trifft, geglättet oder verstärkt. Insgesamt habe ich den Text so durchlektoriert, wie ich es bei einer eher unerfahrenen deutschsprachigen Verfasserin vielleicht in Vorschlagsform getan hätte – dann natürlich im Änderungsmodus, so dass sie die Eingriffe einzeln annehmen oder ablehnen kann. Das geht mir schnell von der Hand, und ich arbeite gern so.
Noch ein eher minimales Problem: Vermutlich durchs Lernen vom Internet ist das MÜS auch anfällig für verbreitete Grammatikfehler und Missverständnisse wie beispielsweise bei Kommaregeln – zwischen Attributen werden derzeit fälschlich auch dann Kommas gesetzt, wenn die Adjektive nicht aufzählend, sondern bedeutungsergänzend oder spezifizierend verwendet sind, was zu erkennen Kontext und Interpretation erfordert, das kann das MÜS nicht oder allenfalls in sehr offenkundigen Fällen leisten. (Aber die Regel wird auch von einer zunehmenden Anzahl Menschen verkannt, zumal im Englischen die Kommas zwischen Adjektivreihen zwingend sind.) Da könnte DeepL noch dudenfester gemacht werden.
Fazit: Ist der Text modern, einfach strukturiert und aktuell, ist er für Maschinenübersetzung geeignet
Ich hätte im Vorfeld mit viel mehr Fails gerechnet. Zu meinem Erstaunen scheint das MÜS hier verblüffend oft das Wesentliche zumindest erkennbar zu machen. Ohne selbst Humor zu haben, transportiert das MÜS auf Anhieb die Ironie und große Teile des bissigen Humors, was natürlich großteils daran liegt, dass diese Autorin einfache Syntax und klare Bezüge, vor allem aber selbsterklärende Bilder und Vergleiche benutzt, bei denen sich die Pointe schon durch reinen Bedeutungstransfer vermittelt. Stark wirkt es, wenn das MÜS Vokabeln wie »Charmeoffensive« findet, die so mancher Übersetzerin leider gar nicht einfallen. Es gibt in dieser Passage nur wenige verschleierte Metaphern oder verschlüsselte Anspielungen, alles liegt offen auf dem Tisch, der Text ist modern, schlicht, sarkastisch mit aktuellen Topics. Dafür erweist sich das MÜS als durchaus geeignet – natürlich nur, sofern eine Person mit Wachheit für Diskurse und Pointen hinterher sorgsam poliert und die Fails ausbügelt.
Ich komme zu der Einschätzung, dass ein MÜS für solche Texte »relativ gut geeignet« ist – nämlich besser als eine desinteressierte oder mäßig eingelesene Übersetzerin, natürlich deutlich schlechter als eine mitdenkende gute Übersetzerin, aber als Rohmaterial eignet sich die Vorlage ganz prima. Besonders, wenn jemand gern kreativ redigiert.
Review
von Carlotta Herland
Beim ersten Draufblick auf das Dokument, in dem alle Eingriffe sichtbar sind, fällt mir auf, dass es weniger Eingriffe sind als bei meiner Bearbeitung, dass sich diese Eingriffe meist auf der Wort- oder Redewendungsebene befinden und weniger den Satzbau betreffen, und dass das Dokument mit Kommentaren versehen ist. (Letztere fehlen in meiner eigenen Überarbeitung, obwohl ich gerade beim Lektorieren sehr gern mit Kommentaren arbeite!)
Um das Leseerlebnis besser beurteilen zu können, lege ich die Fassung mit den sichtbaren Eingriffen beiseite (auf den zweiten Bildschirm, um sie nicht ganz aus dem Blick zu verlieren) und nehme mir die Version vor, in der alle Änderungen angenommen wurden.
Hier stolpere ich direkt über den ersten Satz: »Ich war schon immer fett.« Ich hätte an dieser Stelle das dick aus der maschinellen Übersetzung behalten, aber eventuell den Tempus geändert: »Ich bin schon immer dick gewesen.« Ich bin zwar nicht tief in den Diskurs um fat acceptance eingestiegen, aber meinem Kenntnisstand nach werden beide Vokabeln verwendet, wobei das freundlichere dick als Selbstzuschreibung mindestens genauso häufig auftaucht wie das drastischere fett. Die Ersetzung von dick durch fett ist allerdings sehr bewusst vorgenommen worden und wurde sogar in der Reflexion begründet. An dieser Stelle gibt es wohl kein Richtig und kein Falsch, und hier sieht man, welchen gewaltigen Einfluss die übersetzende Person auf einen Text hat.
Ein paar Wörter weiter bleibe ich an dem Wörtchen kurvig hängen, für das ich direkt die maschinelle Übersetzung verantwortlich mache. Tatsächlich ist kurvig mittlerweile ein Synonym für üppig, drall, füllig und Co., aber das curvy schwingt da drin noch genauso deutlich mit wie all die Influencer*innen und Online-Redakteur*innen und Online-Kommentator*innen und Online-Marketing-Fachleute, die eben diesem Anglizismus zum Durchbruch verholfen haben. Und genau darum ist es vielleicht richtig an dieser Stelle, und ich hätte danebengelegen, wenn ich es durch einen weniger englisch klingenden Begriff ersetzt hätte.
Schon im dritten Satz hat die KI einen Doppelbock geschossen: Sie lässt die Autorin 342 Pfund wiegen. Hierzulande wird aber erstens das Pfund fast nur noch für Kaffee, Butter, Spargel und Kartoffeln verwendet (warum man bei Erdäpfeln zum Pfund greift und bei Luftäpfeln nicht, das weiß der Teufel). Menschen gibt’s im Kilo, und dieser hier wiegt – Moment – 155,129 Kilogramm, sagt mir der Pound-to-Kilogramm-Converter, macht im Text 155 Kilo (also nicht etwa 171 Kilo, bei denen man gelandet wäre, wenn man wie die KI-Pound einfach in Pfund übersetzt hätte). Dass einem so etwas durch die Lappen geht, ist beim Lektorieren einer maschinellen Übersetzung sehr viel wahrscheinlicher als beim manuellen Übersetzen, eben weil man es bei letzterem nicht derart richtig klingend aufgetischt bekommt, man außerdem mit der Sprache im entsprechenden Land ist (und darum der Lokalisierungsaspekt präsenter ist) und drittens nicht von so vielen anderen, viel offensichtlicheren Fehlern abgelenkt wird.
Im weiteren Text fallen mir einige andere Vokabeln oder Formulierungen auf, die das Englische deutlich durchschimmern lassen. Angriffslustige zu entwaffnen beispielsweise klingt, als hätten die Aggressoren eine Knarre dabei – im Deutschen würde man ihnen eher den Wind aus den Segeln nehmen. Und wenn diese Angriffslustigen ihre Wut entfesseln, höre ich als Übersetzerin das unleash deutlich heraus und lasse sie ihrer Wut freien Lauf lassen, denn sie haben ja ihre innere Hundeleine ausgehakt.
Gleichzeitig finde ich Stellen, an denen ich die maschinelle Übersetzung als korrekt und angenehm lesbar empfunden hätte, die aber durch sperrigere Formulierungen ersetzt worden sind. Auch hier kann allerdings davon ausgegangen werden, dass die maschinelle Übersetzung die verursachende Instanz war – irgendetwas klingt da komisch, also wird es getilgt. Ich selbst war beim Lektorieren des Ausschnitts aus dem Liebesroman die ganze Zeit unsicher, ob ich »der Maschine« zu viel durchgehen lasse oder ob ich (durch die offensichtlichen Fehler in einen überkritischen Zustand versetzt) einfach alles, was mir nicht auf den ersten Blick korrekt vorgekommen ist, für dubios befunden, gelb markiert und später auf Teufel komm raus geändert habe, weil mir der Ausgangstext so suspekt war wie eine Person, die einen schon ein paar Mal angelogen hat, und von der man keine Wahrheiten mehr erwartet.
Ein Beispiel für eine solche Korrektur, die den Text meines Erachtens schlechter lesbar macht, wurde bei dem Satz »Plötzlich werden Menschen, die sich sonst gerne über verspätete Flüge und beengte Beinfreiheit beschweren, zu den treuesten Verteidigern der Fluggesellschaften« vorgenommen, bei dem ich mich lediglich an dem den treuesten gestört hätte, und der zu »Plötzlich werden Leute, die sonst immer gern über Verspätungen und mangelnde Beinfreiheit herziehen, zu den treuesten Fürsprechern der Fluggesellschaften.« Der Begriff herziehen über fühlt sich für mich an dieser Stelle falsch an, und auch die Verteidiger finde ich hier passender als die Fürsprecher, da ich hier eher Apologeten als Advokaten am Werk sehe. Zu letzterer Ersetzung ist allerdings verteidigend zu sagen, dass das Wort Verteidiger wahrscheinlich unter anderem ersetzt wurde, um eine Doppelung zu vermeiden.
Die Person, die diesen Workflow bearbeitet hat, äußert sich in ihrer Reflexion eher positiv über die Qualität der maschinellen Übersetzung. Das bestärkt mich in meiner Annahme, dass eine der Gefahren des Einsatzes von KI für Übersetzungen die Tatsache ist, dass die Resultate gerade bei Sachtexten recht angenehm lesbar sind und dadurch sowohl Fehler als auch Anglizismen in Wortwahl und Satzbau leicht übersehen werden können. Den meisten Rezipient*innen dürften solche Ungenauigkeiten kaum noch auffallen, da diese sich durch den massenhaften Einsatz von maschinellen Übersetzungen im Internet verstetigen und möglicherweise für viele richtiger klingen als die »korrekten« Begriffe und Formulierungen.
Bild: Виталий Сова