»Woher will die KI das wissen?« Ursula Wulfekamp testet DeepL als Wörterbuch

»Woher will die KI das wissen?«

Ursula Wulfekamp testet DeepL als Wörterbuch – und hat einige Verbesserungsvorschläge.


Ich übersetze den Ausschnitt aus Aubrey Gordons What We Don’t Talk About When We Talk About Fat, als wäre er die Probeübersetzung für einen neuen Verlag. Dabei stellt das Thema an sich bereits die erste Schwierigkeit dar, weil ich noch mehr als sonst auf eine inkludierende Sprache achten muss, ganz zu schweigen von der Adipositasterminologie, die nicht zu meinem aktiven Wortschatz gehört. Aber vielleicht kann DeepL ja dabei helfen?

Darüber hinaus ist der Text stellenweise anspruchsvoll im Satzbau, was allerdings – wie sich beim Übersetzen erweist – zum Teil auf ungenaues Denken zurückzuführen ist. Außerdem hat die Autorin bisweilen eine wenig plastische Ausdrucksweise, um an anderen Stellen wieder recht locker zu formulieren.

 

Verunsicherung statt Erkenntnisgewinn

Das Übersetzen mit DeepL als Wörterbuchersatz unterscheidet sich extrem von meiner üblichen Arbeitsweise. Meist suche ich ja nach Anregungen, weil ich mir nicht ganz sicher bin, ob ich dieses oder jenes deutsche Wort verwenden soll, oder weil mir im Hinterkopf ein Begriff herumschwirrt, den ich nicht sofort abrufen kann. Etwa »open invitation« – beim DeepL-Vorschlag »offene Einladung« zucke ich etwas zusammen: Sagt man das auf Deutsch wirklich? Erst der anschließend hinzugezogene Muret-Sanders hilft meinem Gedächtnis auf die Sprünge: Freibrief, natürlich!

Und so geht es mir bei sehr vielen Suchbegriffen, die ich in DeepL eingebe – ich zweifle ihre Korrektheit an: Kann man auf Deutsch wirklich »schleichende Besorgnis« sagen? Mir fällt dann »perfide Besorgnis« ein, was meines Erachtens genau das richtige Adjektiv hier ist, das aber hat DeepL auch in den Alternativen nicht im Angebot.

Es nervt mich zunehmend, hier mit DeepL arbeiten zu müssen, weil er in den seltensten Fällen sinnvolle Vorschläge macht. Und da er bei den Alternativvorschlägen keinen Kontext angibt, hilft er mir auch nicht bei der Entscheidung, welches der Wörter ich denn nun nehmen soll; dadurch werde ich in meinem Sprachgefühl verunsichert und muss noch mehr Ausdrücke als sonst im Internet überprüfen.

Die Übersetzungsvorschläge zu verifizieren kostet mehr Zeit, als es Nutzen bringt. Etwa das deutsche »übergriffig« für das englische »overgrown«. Zwar finde ich, dass »übergriffig« in dem Kontext gut passt, aber ich finde im Internet keinen Beleg dafür, dass das englische »overgrown« tatsächlich eine solche Bedeutung hat. Das verringert mein Misstrauen gegenüber DeepL nicht gerade – woher will er denn wissen, dass diese Übersetzung wirklich stimmt?

Ein weiteres Manko ist, dass DeepL Gewichts- und Längenmaße etc. nicht übersetzt; die muss ich wie gewohnt im Netz (oder im Kopf) umrechnen.

 

Kein Ersatz für andere Nachschlagewerke

Die DeepL-Alternativen für einzelne Wörter könnten als Synonymwörterbuch dienen, aber auch da fehlt eine irgendwie geartete Orientierungshilfe. Wehrle-Eggers etwa ordnet die Synonyme in Familien ein, sodass man zumindest eine Ahnung bekommt, in welche Richtung ein bestimmter Begriff geht; das fehlt bei der Übersetzungsmaschine völlig.

Bei einfachen Halbsätzen mit schlichtem Vokabular funktioniert DeepL gut und erspart die Tipparbeit, aber bei komplexeren Sätzen arbeitet er nicht zuverlässig, übersieht sogar manche Wörter und kriegt bestimmte Dinge einfach nicht auf die Reihe.

Manchmal bietet DeepL Wörter in einem bestimmten Kontext an, die ich in einem anderen gut gebrauchen kann und die mir eventuell nicht sofort eingefallen wären. Für »hackneyed would-be comics« etwa schlägt er »abgedroschene/abgegriffene Möchtegern-Comics« vor. »Abgedroschene Komiker« geht natürlich nicht, aber das »abgedroschen« passt perfekt vor die »Pointen«, die dann folgen.

Beim Überarbeiten meiner Übersetzung greife ich auf DeepL wieder als Synonymwörterbuch zurück, mit denselben Ergebnissen wie oben – bisweilen ganz in Ordnung, ganz bisweilen sogar großartig (»Selbstwertgefühl« für »self respect«). Sprich, er kann als Wörterbuch eins von mehreren Hilfsmitteln sein, aber richtig überzeugen tut er mich nicht.

 

Am Ende muss doch gegoogelt werden

Fazit: DeepL als Wörterbuch zu verwenden ist höchst unzufriedenstellend, weil die Einbettung der Vorschläge in einen Kontext fehlt, aber auch wegen der fehlenden Zuverlässigkeit: In manchen Fällen werden für mir bekannte Wörter nicht alle Bedeutungsmöglichkeiten genannt, sodass ich bei mir unbekannten englischen Wörtern nicht sicher bin, ob der deutsche Begriff, den ich an dieser Stelle brauche, tatsächlich angeführt wird.

Als Synonymwörterbuch kann er Anregungen geben, aber das kann mein digitaler Synonymduden auch, und der braucht vermutlich weniger Energie und ist offline benutzbar.

Was meine Hoffnung betrifft, DeepL könnte mir auf dem Adipositasterrain helfen, so hat sie sich zerschlagen. Dass »anti-fat« »fett-feindlich« heißt, musste ich ergoogeln. Womöglich eignet sich der Text schlicht nicht recht für DeepL: die Wortwahl zu heikel (für »fat« wird »fett« vorgeschlagen, was schlicht nicht geht) und zu spezifisch, die Sprache zu uneinheitlich (wie weiter oben erläutert).

Mehr Kontext-Einordnung, die Nennung des Artikels und der Pluralform wären eine Verbesserung, aber für tatsächliche Literaturübersetzungen müsste DeepL meines Erachtens Bilder »verstehen« und übersetzen können – »others’ responses curdle« etwa übersetzt er wörtlich (mit »die Antworten der anderen verstummen« oder »die Antworten der anderen gerinnen«), da helfen auch die vielen angebotenen Alternativen nicht weiter.

Und ein denkbarer Gewinn – nämlich, dass man sich das Tippen von viel Text erspart – ist bei der Verwendung von DeepL als Wörterbuch auch nicht gegeben.

Review

von Alexandra Rak


Da ich nicht unbedingt eine Sachbuchexpertin bin, war ich gespannt, was für eine Art von Sachtext mich erwarten würde, und angenehm überrascht, einen Erfahrungsbericht vorzufinden.

Die Autorin erzählt von ihren Erfahrungen als dicker Mensch, von den Vorurteilen und Anfeindungen, die ihr entgegengebracht werden, und holt mich als Leserin gut ab. In diesem Fall natürlich die Übersetzerin, weil ich ja den deutschen Text lese. Wenn die Autorin auf Seite 2 im letzten Absatz und auf der folgenden Seite einen Exkurs über den Stellenwert und die Stellvertreterfunktion von Dicken in amerikanischen Büchern, politischen Karikaturen, Filmen und Fernsehshows macht, verliert sie mich allerdings, obwohl ich das Thema interessant finde. Ich verstehe grob, was sie meint, finde ihre Aussage aber nicht ganz klar; ich überlege, ob das an der Autorin oder der Übersetzung liegt, und lese weiter. Auch wenn der darauffolgende Absatz mit einer eigenartigen Wendung eingeleitet wird – »Für sehr dicke Menschen ist ein eigenes Minenfeld von Beleidigungen reserviert« –, bin ich jetzt inhaltlich wieder dabei. Beim folgenden Satz komme ich wieder ins Grübeln: »Für mich als eine weiße, queere Frau ist es manchmal schwierig, die Herausforderungen zu beschreiben, die Misogynie und Homophobie mir bereiten, aber das stößt zunehmend auf ein gewisses Maß an Verständnis.« Was stößt auf Verständnis? Aber erst einmal weiter im Text. Der Rest ist klar und gut lesbar.

Insgesamt ist bei der ersten Lektüre mein Lektorinnenblick angesprungen, nach zehn Jahren als angestellte Lektorin in einem Verlag wohl unvermeidbar. Wahrscheinlich würde ich einige Ausdrücke präzisieren, die unklaren Stellen im Original nachlesen, abklopfen, ob der Satzbau für die Lesbarkeit nicht vereinfacht werden sollte und hinterfragen, ob die Wendung »Körper wie der meine« im Verhältnis zum sonstigen Erzählton nicht zu hochsprachlich ist.

Zu meiner Freude entdecke ich dann, dass sich die Einschätzung des Originaltextes in Ursula Wulfekamps Erfahrungsberichts mit meinen Leseeindrücken deckt. Die Schwierigkeiten, die ich in Bezug auf den Inhalt hatte, sind also dem Original geschuldet.

Gut erkennbar wird in Wulfekamps Reflexion die wachsende Verunsicherung der Übersetzerin durch die Verwendung von DeepL. Durch halbwegs richtig klingende Angebote, die dann doch nicht passen, zweifelt die Übersetzerin plötzlich alles an und hinterfragt jeden Vorschlag. Am gravierendsten fand ich die Erkenntnis, dass sie durch die ausschließliche Verwendung von DeepL das Vertrauen in ihr eigenes Sprachgefühl verliert, was sie als Profi aber ja zum Glück abschütteln konnte. Kleine Irritationen sind für uns als Übersetzer:innen als Anstoß zur Selbstreflexion immer willkommen, aber wenn wir plötzlich grundsätzlich alles anzweifeln, lässt sich nicht arbeiten. Kein Wunder also, dass auch ihr der Einsatz des Tools keine Zeitersparnis gebracht hat. Im Gegenteil! Vor diesem Hintergrund ist die Erkenntnis, dass DeepL als Synonymwörterbuch ungeeignet ist, weil jegliche Orientierungshilfe fehlt, dann fast schon egal.

Wir haben beide mit dem gleichen Workflow gearbeitet und sind zu der Erkenntnis gelangt, dass sich DeepL als ein Tool unter vielen, am besten für einfach gestrickte Halbsätze, verwenden lässt, als ausschließliches Hilfsmittel aber versagt.

 

Bild: Виталий Сова

Downloads