Der Reiz zum Widerspruch: Als Rohfassungsmaschine schätzt Bettina Seifried die digitale Übersetzungsassistenz

Der Reiz zum Widerspruch

Als Rohfassungsmaschine schätzt Bettina Seifried die digitale Übersetzungsassistenz für Fergusons Meet Me in the Margins.


Innerhalb von Sekunden liefert DeepL eine Version, die grammatisch richtig und tippfehlerfrei ist, aber kontextuell, lexikalisch (»Stil«) und von der Wortstellung her (Lesefluss, Anschlüsse) noch viel zu wünschen übrig lässt. Beim Ausprobieren der per Rechtsklick angebotenen lexikalischen und syntaktischen Alternativen bei Schlüsselwörtern im Satz vergeht sehr viel Zeit mit der »Prüfung« der langen Listen, ob tatsächlich ein dem aufgerufenen Kontext und Stil des Originals angemessenerer Vorschlag dabei ist. Bei der Auswahl wird viel im Satz umgestellt, das dann aber wieder ungewollt war.

 

Es geht nur linear

Ein großes, zeitraubendes Problem ist zudem: DeepL zwingt beim Arbeiten in der Maske zu strikt linearem Vorgehen und Ersetzen im Satz. Falls ich, am Ende eines Satzes oder Absatzes angekommen, den Eindruck habe, dass Lexem X am Anfang des (Ab-)Satzes nun doch die bessere Alternative wäre, und diese Ersetzung vornehme, lösche ich damit alle im Satz nachfolgenden, bereits vorgenommenen Veränderungen bis zum Ende, und alles muss erneut händisch per Liste/Klick eingegeben werden – etliche Schritte doppelt und dreifach. Als Konsequenz habe ich nur ein oder zwei Sätze auf einmal in die Maske eingetragen und gleich nach dem ersten Durchgang in eine Word-Datei kopiert (auch wenn ich noch nicht alle Optionen durchgegangen war und das Ergebnis mir nicht optimal erschien) – und dort mit eigenen Gedanken, dict.cc, Woxikon und Linguee im Modus »Änderungen nachverfolgen« weiterbearbeitet. DeepL kann also eine Art »Rohversion« liefern, die jedoch stark überarbeitet werden muss unter Einsatz von Phantasie, Sprach- und Rhythmusgefühl, Kontextbewusstsein und ein paar einschlägigen Wörterbüchern.

Verwandt mit der eben angesprochenen Problematik ist: Wenn Verben, die einen unterschiedlichen Kasus erfordern, per Mausklick getauscht werden, kann DeepL die (vorangehenden) nun anders erforderlichen Kasusendungen oder Präpositionen nicht mitkorrigieren. Auch das muss später in Word händisch erfolgen. Man kann zwar auch in DeepL »eigene«, nicht in der Liste verzeichnete Varianten einschreiben, aber auch da verändert sich dann die Folge des Satzes auf oft unerwünschte Weise.

Grafische Betonungsverfahren wie Kursivierung werden im Webinterface gar nicht erkannt. Betonungen, die im Deutschen auch durchaus mit Modalpartikeln (ja, wohl, so, …) angezeigt werden könnten, tauchen in der Liste von DeepL nie auf. Manche kursiv betonte Wörter werden gar nicht berücksichtigt und ausgelassen: »outstanding« [»uncomfortable shoes«].

Die automatische Übernahme stereotyper Vorstellungen durch Übersetzungsmaschinen wurde bereits häufig thematisiert, auch im vorliegenden Fall macht DeepL aus »employee« eine Mitarbeiterin, obwohl in der ersten DeepL-Version aus »reader« Leser und aus »booksellers« Buchhändler wird. Mitarbeiterin wegen des Doppel-e?

 

Formell, informell oder automatisch?

Interessant scheint zunächst, dass DeepL eine Voreinstellung anbietet, ob die produzierte Variante als »formell«, »informell« oder »automatisch« erkannt und verarbeitet werden soll. An einer Stelle habe ich ausprobiert, was sich dadurch jeweils in der ersten angebotenen Maschinenversion ändert: »despite the onslaught of crises thrown our way last year« wird mit der Einstellung automatisch zu: »trotz des Ansturms von Krisen, der uns im letzten Jahr heimgesucht hat«; mit formell zu: »… überrollt hat«, und mit informell zu: »… zu schaffen gemacht«. Abgesehen davon, dass »Ansturm« und »heimsuchen« semantisch ein schräges Paar abgeben, ist schwer ersichtlich, warum »überrollen« formeller sein soll als »zu schaffen machen«. Die Kriterien, nach denen Wörter und Phrasen als formell/informell getaggt werden, sind vermutlich nicht scharf umrissen und taugen vor allem dazu, um zwischen pronominalen Höflichkeitsformen (Siezen/Duzen) zu variieren.

 

Ohne Weltwissen um situative oder kulturelle Kontexte auf Holzwegen

DeepL-Produkte sind offenbar besonders unbrauchbar, wenn es um nicht-stereotype Abläufe, um ungewöhnliche Bilder, um stark auf den kulturellen (bzw. im Roman aufgerufenen) Kontext oder die konkrete Szene verweisende Ausdrücke und Konnotationen geht. Im Ferguson-Text läuft die Protagonistin in Stöckelschuhen auf und ab und verkürzt dann ihre Schritte, um auf ihr Fitness-Soll pro Tag zu kommen. An der Stelle erscheint mir auch ein Schreibfehler im Original vorzukommen (at statt and?) – den DeepL ›wegglättet‹, jedenfalls nicht erfasst oder anzeigt. DeepL präsentiert: »Ich schwinge mich gefährlich auf einen dünnen Absatz und mache einen kleineren, schnelleren Schritt …« Dass das aus dem technischen Bereich stammende »to pivot« (maschinelle Schwenkbewegungen anzeigend) hier metaphorisch für Cades mechanisches Hin- und Herlaufen und ihre Kehrtwenden vor der Wand gebraucht wird, bringt den Algorithmus auf die falsche Spur. Schwingen wird erkannt, aber in Verbindung mit einem als menschlich erkannten Subjekt wird es zu »sich gefährlich auf etwas schwingen«, statt beispielsweise zu »auf X einen gewagten Schwenk vollführen …« Auch das interpretationsbedürftige [begrudgingly] accommodating kann DeepL nur nah am wörtlichen Sinn erfassen und schlägt vor: [widerwillig] zuvorkommend [Alternativen per Mausklick: einwilligend, einladend, duldsam …] – dass es darum geht, dass Clyve ihr im Gedränge Platz macht/gewährt, damit sie hin- und herlaufen kann, ist nicht im Programm, da man sich die gesamte Szene visualisieren und daraus abgeleitete kontextuelle/kulturelle Konnotationen und Inferenzen aufrufen muss, um den Sinn bestimmter Ausdrücke zu erfassen. Ein ebenfalls kurioser Holzweg, den DeepL in einer ersten Version zum Satzteil »frown at the eerily stencilled birds« einschlug, lautete: »mustere ich die unheimlichen Schablonenvögel mit der Stirn«. Da war die Maschine verloren in ihrem Irrgarten der unsortierten Optionen.

Nur in sehr geringem Umfang sind Umstellungen ganzer Phrasen im DeepL-Interface möglich. Die umfassenden und oft notwendigen Möglichkeiten des Deutschen, im Grund alles an jede Stelle des Satzes zu verfrachten, um Lesefluss oder geschmeidigen Anschluss die Logik des dargestellten Ablaufs oder den Satzschwerpunkt und Informationsverteilung fein zu kalibrieren, ist in der DeepL-Maske per Dropdown-Listen kaum machbar und oft nur händisch durchsetzbar. Unter den Umständen arbeite ich jedoch müheloser in Word als im DeepL-Editor.

Einschübe ohne einleitende Konjunktionen bietet DeepL nicht an: »…, die Kugelschreiber hinters Ohr geklemmt, …«, obwohl sie oft eleganter wären. DeepL bietet nur: »mit dem Kugelschreiber hinterm Ohr« oder »während die Stifte hinterm Ohr klemmen …«

Auch (synonyme) Wortvariationen, um aus stilistischen Gründen Wiederholungen zu vermeiden oder Verwechslungen (etwa: »Absatz« und »Absatz«) auszuschließen, produziert DeepL gar nicht oder nur in einer geringen Auswahl per Liste.

 

Ohne Überarbeitung und Feinschliff geht es nicht

Die Arbeitszeit für drei Normseiten betrug insgesamt 7,5 Stunden, davon 4 Stunden mit DeepL (vor allem aufgrund der oben beschriebenen Mehrfachkorrekturarbeiten) und schließlich 3,5 Stunden für Eigenleistung und Überarbeitung. Das ist etwas, aber nicht dramatisch mehr (!) als ich für diesen Umfang in toto (für Rohfassung plus Redigieren und Re-Redigieren plus Inspiration durch Synonym- und Thesaurus-Wörterbücher) wahrscheinlich ohnehin investiert hätte. Als Rohfassungsmaschine kann DeepL eingesetzt werden, deren Output muss jedoch auch bei scheinbar »anspruchslosen« Genre-Texten umfassend überarbeitet und adäquat kontextualisiert werden, bevor der Text in Stil, Register, Figurenzeichnung etc. seinen Feinschliff hat. Ein echter Gewinn bei literarischen Texten? Eher nicht, aber um schon mal eine Vorlage auf dem Papier zu haben, an der man sich abarbeiten kann, weil die angebotene Version zum Widerspruch reizt und die eigenen Gedanken, Ideen und »Das geht besser«-Lösungsvarianten herauskitzelt und motiviert, kann DeepL taugen. Als vorrangiges oder einziges Übersetzertool für den fortlaufenden Übersetzungsprozess ist es zu umständlich und zu weitschweifig – allein die Liste der angebotenen Alternativen pro Wort erschlägt in der Fülle der weiteren Möglichkeiten, die im jeweiligen Kontext ohnehin nur in geringem Maß sinnvoll sind, sie verleiten zum unsinnigen Ausprobieren und zeitraubenden Herumdaddeln mit geringem Mehrwert.

Möglicherweise ist die Einschätzung des Nutzens von DeepL auch abhängig vom Schreib- und Übersetzertyp? Nach der Typologie von Daniel Chandler,1 verfahre ich beim Verfassen von Texten und entsprechend auch beim Erstellen von Übersetzungen eher nach der »oil-painting strategy« und übermale als major revisor etliche Male meine ursprünglichen Fassungen, weshalb mir eine Rohfassung in Sekundenschnelle gut ins Konzept passt, da ich die Herstellung eines Texts als permanentes work in progress verstehe. Bis die Deadline naht …

  1. Chandler, D. (1993). »Writing Stategies«, in: English Today 9(2)

Review

von Josefine Haubold


Ich wusste anfangs nicht, welche die beste Reihenfolge sein könnte, um die vorliegenden Texte (Originaltext, Nachbearbeitung der in DeepL editierten Version, finale Version, Reflexion) zu lesen. So kam es, dass ich zuerst die Reflexion las.

Dabei fiel mir auf, dass die Kollegin sich beim Editieren in DeepL mit den gleichen Schwierigkeiten herumgeschlagen hat wie ich – eine riesige Auswahl an Alternativen, die dennoch oft unbefriedigend sind, der Zwang zum linearen Arbeiten, das willkürliche und ungewünschte Umstellen von Sätzen, nicht übernommene Kursivierungen und falsche Satzzeichen – und sich auch auf die gleiche Weise beholfen hat, nämlich indem sie die halbwegs fertigen Sätze in Word gerettet und anschließend dort weiterbearbeitet hat.

Wie umfassend sie in Word den bei DeepL bereits editierten Text bearbeitet hat, geht aus den transparenten Änderungen hervor. In dem Text steht nach ihrer Bearbeitung im Grunde kein Stein mehr auf dem anderen. Für mich zeigt das einerseits, wie unbrauchbar der Output von DeepL tatsächlich ist, andererseits aber auch, dass man mit einer kritischeren Herangehensweise wie der der Kollegin, die das Geschriebene nicht (auch nicht unbewusst) als gesetzt betrachtet, doch noch einiges aus dem Text herausholen kann. Entsprechend kommt sie zum Abschluss ihrer Reflexion auch zu einem versöhnlicheren Ergebnis als ich, bei der sich während der Arbeit schon fast eine persönliche Fehde mit DeepL entwickelt hat.

Erstaunt war ich, dass sie für all das nur 7,5 Stunden gebraucht hat; es sieht nach so viel mehr Arbeit aus! Ich fürchte, ich habe deutlich mehr Zeit aufgewendet (ich schätze eher 10 Stunden), dabei habe ich in Word gar nicht mehr so tiefgreifend redigiert wie sie.

Auffallend fand ich, dass sie in dem für mich sichtbaren Durchgang (oder wahrscheinlich eher den Durchgängen) verhältnismäßig wenig Änderungen am Vokabular vorgenommen hat, sondern stattdessen sehr beherzt in den Satzbau eingegriffen hat – also genau das nachgeholt hat, was beim Editieren in DeepL kaum möglich ist. Dass sie dazu in diesem Ausmaß in der Lage war, davor kann ich nur meinen Hut ziehen, denn wie ich in meiner eigenen Arbeitsbeobachtung festgestellt habe, fiel es mir bei dieser Aufgabe sehr schwer, mich von dem, was schon einmal dort steht, zu lösen und die Sätze noch einmal ganz neu zu denken. Das von mir beschriebene Problem, dass das DeepL-Deutsch durch die Vielzahl an Vokabelvorschlägen und die gleichzeitige Begrenztheit von Umbaumöglichkeiten an der englischen Satzstruktur klebt, ist nach ihren Bearbeitungen überhaupt nicht mehr aufspürbar.

Leider las sich der deutsche Text trotzdem sehr seltsam. (Ich habe ihn umformatiert und ausgedruckt, um nicht in das automatische Misstrauen gegenüber Normseiten-formatierten Dokumenten zu verfallen, die ich wahrscheinlich grundsätzlich als Baustellen betrachte). Die Sätze sind vollgestopft mit Informationen, aber dennoch ergibt sich beim Lesen kein richtiges Bild von dem, worum es eigentlich geht. Nach einem Blick ins Original musste ich allerdings feststellen, dass dieses irritierende Gefühl beim Lesen zum größten Teil vermutlich weder auf DeepL und schon gar nicht auf die Kollegin zurückzuführen ist, sondern dass der Ausgangstext einfach nicht besonders gut war.

Vielleicht wäre dieses Experiment mit einem literarisch etwas überzeugenderen Text noch interessanter gewesen, weil im vorliegenden Fall der Output selbst nach langer und mühsamer Bearbeitung eher unbefriedigend bleiben muss.

 

Bild: Виталий Сова

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